Mittwoch, 23. Dezember 2009

Lehrstunden beim Oberweihnachtsmann

„O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter“, so schallt es an einem Mittwochnachmittag durch den Mensaflur der Technischen Universität. 60 Männerstimmen trällern dort im Chor - mehr oder weniger synchron - das bekannteste deutsche Weihnachtslied. Die kleine Vorstellung sorgt unter den Studenten für erstaunte Blicke und grinsende Gesichter. Den Oberweihnachtsmann lässt dies gänzlich unbeeindruckt. Er schminkt sich sein Gesicht mit weißer Farbe an und rezitiert danach vor versammelter Mannschaft den „Knecht Ruprecht“: „Von draußen, vom Wald komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.“
Mit nur zwei weiteren weiblichen Personen habe ich mich unter die Horde zukünftiger Weihnachtsmänner gemischt. Denn heute soll uns der Oberweihnachtsmann erklären, wie aus uns gute Weihnachtsmänner- und engel werden. Ganze vier Stunden wird der Workshop dauern. Ich hoffe inständig, dass er schon etwas eher zu Ende ist - allerdings ohne Erfolg. Man glaubt gar nicht, was ein Weihnachtsmann oder Engel alles können muss: Wer hätte gedacht, dass auch eine Lektion Improvisationstheater Teil des Lehrplans ist? So hüpfen, rennen und stolpern wir etwa zwei Stunden lang durch die Mensaflure, schneiden Grimassen, beschimpfen uns und bauen zuletzt sogar aus uns selbst ein lebendes Kunstwerk: Jeder Schauspieler wäre stolz auf uns. Zwischendurch müssen wir immer wieder auf fiese Fangfragen reagieren. Was tun, wenn ein Kind fragt: Weihnachtsmann, wo sind deine Rentiere? In solchen Fällen heißt es spontan und gewitzt antworten. Ein Achselzucken und der genervte Blick zur Uhr sind keine adäquate Erwiderung auf diese Frage - all das habe ich beim Weihnachtsmann-Workshop gelernt.
Falsche Antworten sind aber nicht das Einzige, was man am heiligen Abend in seiner Mission als Weihnachtsbote so alles falsch machen kann. Auf die tückischsten Fehler wies uns unser Oberweihnachtsmann mit dem dicken Rauschebart, (der übrigens echt war) zum Glück hin. Hier ein Auszug: 1. Der Weihnachtsmann hat kein Handy, das klingelt. 2. Der Weihnachtsmann trinkt mit Papa oder Opa keinen Schnaps nach der Bescherung. 3. Der Weihnachtsmann verprügelt keine Kinder mit der Rute und 4. er steckt sie auch nicht mal kurz in seinen Sack, um ihnen ein bisschen Angst einzujagen (wurde alles schon angefragt.)
Ausgestattet mit so vielen guten Ratschlägen würde der heilige Abend sicher ein voller Erfolg, dachte ich mir. Die anstrengenden vier Stunden Vorbereitung haben sich jedenfalls gelohnt: Von nun an bin ich ein amtlich eingetragener Weihnachtsengel. So steht es auf meinem Zertifikat. Eine Qualifikation, die bei der Jobsuche später vielleicht den entscheidenden Vorteil bringt: Ich meine, wer kann z.B. so etwas von sich behaupten: „Engel kann zwei Weihnachtslieder singen und anstimmen.“

Die Krone aus dem Ruhrgebiet
Ein echter Engel braucht einen Lichterkranz. Doch was tun, wenn das Kostüm, das ich teuer bei ebay ersteigert habe, keine Kopfbedeckung enthält? Dann hilft nur Selber basteln oder sich auf dem Weihnachtsmarkt nach anderen Engeln umschauen, und denen den Kranz klauen. Mit zwei Gehilfinnen war ich eines Vormittags auf dem Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt unterwegs. Schon gut beschwipst vom Glühwein beobachteten wir dort vier Damen um die 50, die doch tatsächlich alle ein weißes Krönchen auf ihrem Kopf trugen - das perfekte Accessoire für mein Kostüm. Soeben hatten die vier jeder ein Fläschchen Likör hinuntergestürzt, kombiniere: Arbeiten mussten die bekrönten Damen heute nicht mehr. Einer von ihnen die Krone zu entreißen schien mir schwierig zu sein. Die anderen drei hätten den Verlust sofort bemerkt. Also musste ich es auf die charmante Tour versuchen: Ich ging schnurstracks auf die vier zu und fragte ganz frech, woher sie denn die schicken Kronen hatten. „Die haben wir mitgebracht“, antwortete eine schwarzhaarige Frau mit einem heftigen Ruhrpottdialekt. So erfuhr ich, dass die vier einer Reisegruppe aus Essen angehören, die ein paar Tage Berlinhopping betrieb. In ihren Fall eher Weihnachtsmarkthopping: Unter den Linden, Charlottenburg, Zoo - am liebsten wollten sie noch alle Berliner Weihnachtsmärkte besuchen. Abends ging es in den Friedrichstadtpalast. Nach diesem Kulturprogramm sei es dann aber genug, so die Schwarzhaarige. Sie lächelte. Was ich seither weiß: Frauen aus dem Ruhrpott sind toll. Am Donnerstag sei ihre Reise ja schon wieder zu Ende, sagten die Damen. Da bräuchten sie die Krönchen ja nicht mehr. Gern könne ich sie mir abholen. Zuständig für die Übergabe war „die Birgit“, die „eine ganz Nette“ ist. Birgit, so stellte sich heraus, war Reiseleiterin - und rief mich tatsächlich am Donnerstagmittag an. So kam es, dass ich die Damen nochmals besuchte. Diesmal saßen sie schon angeschnallt in ihrem Reisebus, der sie zurück in die Heimat bringen sollte. Neben ihrem Tisch köchelte der Glühwein vor sich hin - die Fahrt schien lustig zu werden. Die Schwarzhaarige überreichte mir stolz ihr weißes Krönchen, ich war glücklich. Zum Abschied drückten mir die vier noch zwei Gutscheine für eine Currywurst mit Pommes in die Hand - Damen aus dem Ruhrpott sind toll!

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