Mittwoch, 6. Januar 2010

Leben zwischen Eicheln und Einsamkeit - das Studentenwohnheim Eichkamp

Den Ort, an dem ich wohne, kennen die meisten Mitte-Berliner gar nicht. Jenseits vom Westkreuz höre die Welt oder zumindest Berlin auf - das denken viele. Aber : Das stimmt nicht. Versteckt zwischen der Avus, dem Grunewald und dem Messegelände befindet sich die kleine Eichkamp-Welt. Ein Mikrokosmos voller Studenten. Etwa 400 sollen in meinem internationalen Wohnheim leben. In Sieben und Zehner-Wohngemeinschaften hausen wir zusammen in zwölf roten und grünen vierstöckigen Häusern. Dadurch, dass die meisten Zimmer nur 10 Quadratmeter groß sind, passen viele Studenten in ein Haus. Nun könnte man denken, dass bei uns stets reger Trubel herrscht - bei so viel geballter studentischer Lebensfreude. Das ist weit gefehlt. Ihre gute Laune und ihren Sinn für Kontakte scheinen fast alle Bewohner am Eingangstor abgegeben zu haben. Auf vielen Etagen wird kaum miteinander gesprochen. Das Schweigegelübde ist oberstes Gebot im Eichkamp. Manche Bewohner verkriechen sich tagelang in ihren Zimmern, huschen in einem unbemerkten Augenblick in die Gemeinschaftsküche - Kontaktaufnahme zwecklos. Dass im Eichkamp möglichst nicht gesprochen wird, lernen auch die Neuzugänge. Jene unbedarften Erstsemester, die noch fröhlich und gesprächig das kleine Studentendorf betreten. Doch nach ein paar Tagen werden auch sie ruhiger und verstummen schließlich ganz.

Wer Kontakt sucht, kann sein Wort an die Eichen richten. Die gibt es zahlreich im Eichkamp, genauso wie ihre Früchte, die Eicheln. Die alten Bäume wachsen unverschämterweise direkt neben den Häusern und nehmen mit ihrem ausladenden Geäst jede Chance auf einen Lichtstrahl im Zimmer. Zumindest in den untereren Etagen herrscht sommers wie winters eine gleichbleibende Dunkelheit. Doch die düstere Umgebung passt eigentlich wunderbar - zur depressiven Grundstimmung der Eichkamper. Zugegeben, sooo schlimm ist es bei uns auch nicht. Zwischen den vielen Stimmlosen wohnen auch ein paar gesprächigere Eichkamper. Sie sind rar und schwer zu finden, aber es ist nicht unmöglich, sie anzutreffen. Es ist diese Studenten-Spezies, die ab und zu auch Geburtstage feiern, die drei Hähnchen auf einmal kochen, die zusammen Glühwein trinken und Filme gucken. Ein wenig soziale Interaktion gibt es im Eichkamp. Und dennoch: Die Mönche sind unter uns.

1 Kommentar:

  1. wie schon gesagt, ich stelle es mir so vor. man kommt des redebedürfnisses übervoll auf den eichkamp, kann zu konversieren kaum noch an sich halten, da kreuzt bedrohlich grunzend eins der wildschweine den weg. nun kann man a) es aufgeregt-gestikulierend und sich überschlagend in gebrabbel zu beschwichtigen versuchen
    oder b) lauthals schreiend davonlaufen. so oder so, in beiden fällen hat man, glückt die flucht, das stimmorgan derart überbeansprucht, dass an sich-unterhalten nicht mehr zu denken ist. mancher mag ansonsten auch so versiert im umgang mit tieren sein, dass er gleich gar nur mit den schweinen spricht.
    so und nicht anders erkläre ich mir das?!?!?

    AntwortenLöschen